Axiomatik NTD




Denken als prämierter Faktor epistemischer Praxis

Denken als Praktik

Das Denken ist für den Triadiker eine Praktik unter anderen. Das NTD ® kann die Praktik Denken nicht aus der Praxis lösen. Im Gegenteil: Die Attraktivität dieses Modells liegt gerade darin, seine Beziehungen zur Praxis aufzudecken.
In der Praxis stellen die Menschen Wechselbeziehungen zur Welt her. Gelingt dies, enstehen Praxissysteme. Die Praxis erhält eine endliche und wiederholbare Architektur. Eine Gattung dieser Praxis ist die epistemische. Ihr prämiertes Ziel ist die Produktion von Informationen. Sie erreicht dieses Ziel u.a. durch die Betonung und Ausdifferenzierung der Praktik Denken.
Alles Beobachten, Denken und Beschreiben im neuzeitlichen, durch die Naturwissenschaften geprägten Sinne findet in epistemischen menschlichen, sozialen und kulturellen → Praxissystemen statt, schafft dieses mit.

Alles triadische Denken vollzieht sich in einer triadischen Praxis und schafft epistemische Interaktionssysteme mit triadischen Strukturen.

Die Produktion von Erkenntnis in Form von Begriffen, Modellen, Theorien, kurz: von → Modellen erfolgt sowohl in der individuellen als auch in der sozialen und der kulturellen Praxis. Immer wirken diese → Klassen der Praxis zusammen, aber sie wirken auf unterschiedlichen Emergenzniveaus. Sie haben wegen dieser unterschiedlichen Ebenen auch eine eigentümliche → Architektur.
Im Vordergrund dieser Darstellung steht die individuelle epistemische Praxis eines Menschen.

Dies im Gegensatz zu anderen Arbeiten. In 'Supervision als Medium kommunikativer Sozialforschung' (Giesecke 1988) standen soziale epistemische Systeme und die Praxis kollektiver Erfahrungsgewinnung im Zentrum. Der 'Buchdruck in der frühen Neuzeit'(Giesecke 1991 u.ö.), die 'Mythen der Buchkultur'(Giesecke 2002) u.a. Werke konzentrieren sich auf die kulturelle Informationsschöpfung und ihre technischen Medien.

Das Metamodell der Praxis und seine epistemische Spezifizierung

Auch für die epistemische Praxis gilt das Metamodell der individuellen Praxis: Die Praxis ist 1.das Produkt der Praktiken der Menschen, 2. der Systembildung und erbt 3. als Teil der Welt dessen Dimensionen.
Die Menschen als Praktiker sind immer eine Komponente der individuellen Praxis. Durch ihr Wahrnehmen, Denken und Handeln erzeugen sie die Praxis. Praxis führt zur Systembildung, sie begrenzt Abläufe, erzeugt eine Architektur. Als Praxissystem verwandelt die Praxis die Welt, fügt neue Teile hinzu, transformiert die Dinge in Raum und Zeit.

Dieses abstrakte Modell in Form einer Triadentrias® läßt sich spezifizieren. Man kommt dann idealerweise zu Art- und Gattungsmodellen. Wir sind also mit typologischen Fragen konfrontiert, wenn wir das Metamodell der Praxis konkretisieren wollen.

Gattungen als Produkt der Prämierung und der Spezifizierung der Faktoren des Metamodells

Für die triadische Typenbildungen, d.h. eine Typenbildung, die von einem abstrakten triadischen Modelle ausgeht, gibt es viele Möglichkeiten: Jeder Faktor und Subfaktor des Metamodells kann zum Kristallisationspunkt der Typenbildung genommen werden, indem er prämiert und/oder spezifiziert wird. Immer hat dies sofort Auswirkungen auf die Emergenz der anderen Faktoren. Dies gilt auch für die epistemische Praxis als einer besonderen Gattung der Praxis.

Die Haupttypen epistemischer Praxis als Ergebnis von Disbalancen zwischen Wahrnehmen, Denken und Handeln

Die Besonderheit der Erkenntnis und aller anderen Praxisformen ergibt sich aus der spezifischen Gewichtung der drei Praktiken.
Die Erkenntnis entsteht aus einer besonderen Form des Zusammenwirkens von Wahrnehmen, Denken und Handeln. Je nachdem, wie die Rangordnung der Praktiken ausfällt, entstehen Subtypen.
Wenn wir in der epistemischen Praxis das Denken besonders prämieren, reden wir von Reflexion bzw. reflexiver oder theoretischer epistemischer Praxis. Die entschiedenste Prämierung des Denkens findet bei der Modell- bzw. Triadenbildung und noch stärker bei der Reflexion der Triadenbildung, einem Spezialfall epistemologischer Praxis, statt.
Nimmt die Wahrnehmung in der Trias der Praktiken den 1. und das Denken den 2.Rang ein, so kann man von empirischer epistemischer Praxis sprechen.
K. Holzkamp (1975) hat in dieser Absicht von 'sinnlicher Erkenntnis' gesprochen. Sie wird am besten durch die Rangordnung Wahrnehmen, Denken, Handeln erfaßt. Diese Rangordnung entspricht weitgehend dem, was man im Alltag für die die "richtige" Reihenfolge im Erkenntnisprozeß hält.
In der experimentellen epistemischen Praxis kann die unmittelbare materielle Praxis oder ihre Spezialisierung als Experiment im Vordergrund der Erkenntnisproduktion stehen. Wenn wir die Modelle in Handlungen und Produkte testen, können wir auch von replikativer Forschung sprechen.
Generell prämieren Ingenieure (Technikwissenschaften) den Faktor Handeln stärker.

Typen epistemischer Praxis
Triadisch wird die Erkenntnis und die >Erkenntnistheorie/Epistemologie in dem Maße, in dem die drei Praxistypen: empirische, theoretische und experimentelle in Interaktion gebracht werden.
Idealerweise strebt man ein quantitatives Verhältnis zwischen den Praxistypen an, welches den Erkenntnisinteressen förderlich ist.

Das NTD ist mehr als eine Wahrnehmungstheorie, mehr als theoretische Reflexion und mehr als eine Theorie symbolischer Beschreibungen. Es bringt diese Faktoren in eine funktionale Balance zueinander.
Gattungen entstehen auch als Produkt der Spezifizierung der Eigenschaften der Faktoren des Metamodells.

Im einzelnen ist für die Typisierung der Gattung der epistemischen Praxis

  1. zu klären, als was die Praktiker auftreten und wie ihre Praktiken modifiziert werden.
  2. können die spezifischen Abläufe, Architekturen und Grenzgestaltungen der epistemischen Praxissysteme bestimmt werden.
  3. Kann man klären, wie die epistemische Praxis die (Parameter der) Welt verwandelt. Hier geht es dann um (neue) Informationen über die Dinge, Prozesse und Räume.

Als weitere Eingrenzung des Geltungsbereichs der Aussagen durch Typenbildung wird in der Folge hauptsächlich die individuelle epistemische Praxis mit dem Ziel der Modellbildung - und noch genauer: der Triadenbidlung behandelt. Dies ist die Gattung, bei der sich die Programme des Neuen Triadischen Denkens® und der architektonischen Voraussetzung besonders klar mitteilen lassen.

Die für die epistemische Praxis spezifischen Ausprägungen der Praktiken (WaDeHa) und der Praktiker

Gehen wir von den Praktikern und den Praktiken aus, so erscheint die epistemische Praxis als eine Prämierung der Forscher und des Denkens.
Wenn das Denken gegenüber der Wahrnehmung und dem Handeln prämiert wird, spricht das NTD von einer → Epistemischen Praxis.
Die Praktiker treten als Forscher i.w.S. auf. Zweck der Praxis wird der Gewinn von Erkenntnis, von Informationen in mancherlei Gestalt.
Denken findet in jeder individuellen Praxis statt. Aber es nimmt, je nach den Zwecken der Praxis, einen unterschiedlichen Rang ein. Dieser Rang kann zum einen - auf hoher Abstraktionsebene - durch das Verhältnis zwischen den drei Praktiken näher bestimmt werden. Wenn das Denken prämiert wird, verlieren die anderen Praktiken an Bedeutung.

Alle genaueren Bestimmungen erweisen sich letztlich als Prämierung einzelner Faktoren des Metamodells, bzw. von deren Subfaktoren. Es entsteht eine Asymmetrie zwischen den Faktoren.

Um das Denken als Faktor jeder Praxis von dem Denken im Spezialfall epistemischer Praxis zu unterscheiden, spricht das NTD im zweiten Fall auch von 'Reflexion'.
Die Prämierung des Wahrnehmens hat unmittelbare Auswirkungen auf die Beziehung der Praxis zur Welt: Es werden vor allem die informativen Dinge der Welt aufgesucht und transformiert. Die materiellen Eigenschaften treten in den Hintergrund. Dies wiederum hat unmittelbare Konsequenzen auch für die Systembildung. Die Grenzgestaltung wird sich gegenüber Informationen öffnen und sich gegenüber anderen Dingen stärker abgrenzen. Die Strukturen der Praxis werden für die Erkenntnisproduktion optimiert.

Die epistemische Praxis kann nicht zureichend durch die Bestimmung des asymmetrischen Verhältnisses zwischen den drei Praktiken bestimmt werden. Neben dieser kompositionellen → Komplexität ist zweitens auch die qualitative Komplexität zu berücksichtigen: Die Praktiken nehmen in der epistemischen Praxis typische Eigenschaften an, die sie von den Praktiken in anderen Gattungen der Praxis unterscheiden.

Basistriade und Triadentrias epistemischer Praktiken

Die Wahrnehmung emergiert hier als kontrollierte Beobachtung, die Datenverarbeitung als Modellbildung und die Modelle werden in symbolischen Medien materialisiert und können dann intersubjektiv überprüft werden.
Es gilt die Basistriade der epistemischen Praktiken: Beobachten, Modellbildung, Darstellen/Anwenden der Modelle.
Epistemische Praxis

Alle Faktoren lassen sich nochmals triadisch ordnen. Dazu ist eine weitere Spezifizierung der Praxis erforderlich. Wenn wir als Ziel der epistemischen Praxis nicht jegliche Modellbildung sondern die Bildung von Triaden annehmen, entsteht die folgende Triadentrias.
epistemische Praktiken
Die Praktiken der Beobachtung und der Umsetzung der Modelle im Handeln werden im Anschluß näher beschrieben, die Modellbildung wird im Abschnitt 'Denken als Modellbildung' ausführlich behandelt. Die Basistriade für das epistemische Denken hat die Faktoren Modellieren, Typisieren, Klassifizieren.

Das Wahrnehmen als Datengewinn und Beobachten

In der epistemischen Praxis wird die Wahrnehmung zu einer besonderen, ausdifferenzierten Form des Datengewinns. Alle Wahrnehmungsprozesse sind darauf gerichtet, Daten für das Denken zu liefern. In der wissenschaftlichen Forschungspraxis spricht man von der 'Datenerhebung' und diese erfolgt seit der frühen Neuzeit vorzugsweise als 'Beobachten', d.h. visuell.
Um aus der individuellen menschlichen Wahrnehmung eine intersubjektive, also soziale Veranstaltung zu machen, muß diese nach überindividuellen, sozialen Programmen ablaufen.
Das Wahrnehmen in epistemischen Forschungssystemen ist ein weitgehend normiertes und sozial kodifiziertes Beobachten, welches symbolische Daten liefert.
Bis in die jüngste Vergangenheit hinein ist die Normierung der Wahrnehmung nur für das Sehen gelungen. Im Ergebnis haben wir Daten mit besonderen Eigenschaften.
Niemals sollte sich die wissenschaftliche Beobachtung ausschließlich auf die Umwelt richten. Dies ist eine Wahrnehmungsperspektive neben der Selbstbeobachtung und der Beobachtung der Interaktionsbeziehung zwischen dem Selbst/dem Beobachter und der Umwelt/dem Objekt.
wissenschaftliche Beobachtung

Das Denken in epistemischer Praxis

Siehe → Das Denken als Modellbildung
→ Das Denken als Strukturbildung
→ Das Denken als Triadenbildung

Das Handeln in epistemischer Praxis

Es gibt viele Arten des Handelns, auch in der epistemischen Praxis. Je nachdem entstehen andere Gattungen und → Arten der epistemischen Praxis. Die experimentelle epistemische Praxis etwa prämiert das Experimentieren mit seinen vielen Facetten. Kodieren wäre eine weitere Form.
In der individuellen epistemischen Praxis spielt das sprachliche Handeln eine besonders große Rolle.

Aber es ist nicht obligatorisch. In der epistemischen Praxis geht es primär um Erkenntnis und diese führt zu Informationen im Denkraum. Sie können sich in der individuellen epistemischen Praxis in äußeren Handlungen materialisieren. Das muß aber von den Individuen nicht beabsichtigt sein, und vor allem: nicht sofort. Die Menschen sammeln viele Erfahrungen nebenbei in vielen Arten der Praxis. Daß eine Praxis ausdifferenziert wird, die die Wissensproduktion prämiert, ist schon nicht die Regel. Daß diese auf die Darstellung des Wissens in symbolischer Form aus ist, ist noch voraussetzungsvoller. Sie bedarf der Unterstützung durch sozial-kommunikative Systeme, die ebenfalls epistemisch orientiert sind.

Sprachliches Handeln in individueller und sozialer epistemischer Praxis

Immer, wenn die individuelle epistemische Praxis zugleich als eine sozial-kommunikative Praxis angelegt ist - und dieser einen gegenüber der individuellen Praxis höhere Bedeutung zugesprochen wird, werden die Erkenntnisse regelmäßig versprachlicht und in der sozialen und kulturellen Praxis in symbolischen Darstellungen: Buchstaben, Zahlen, Zeichen, Zeichnungen, Begriffe, Sätze und Texte und deren Kombinationen materialisiert. Es entstehen spezifische Formen sprachlichen Handelns.
Das sprachliche Handeln ist ein Handeln welches symbolische Systeme, darunter vor allem die natürlichen Sprachen als Speicher- und Vernetzungsmedien verwendet.
Das NTD muß diese Medien und ihre Kodierungsprogramme in die Praxis einordnen. Sie erscheinen als eine besondere Art von Dingen im Handlungs- und im Wahrnehmungsraum. D.h. sie stehen dort immer in Beziehungen zu anderen Dingen, sind Teil dieser Räume. Wie auch immer die Phänomene im Wahrnehmungsraum und die Objekte im Denkraum kodiert sind, im Handlungsraum haben wir es mit gegenständlichen, hör- und anders wahrnehmbaren Zeichen zu tun.
Die sprachlichen Zeichensysteme sind letztlich Kompositionen von Dingen und damit das Ergebnis des Zusammenwirkens von Materie, Energie und Information.

Die Sprachphilosophen unterscheiden sich danach, welche der drei Dimensionen sie zum Ausgangspunkt ihrer Definition machen - und wie rigide sie welche andere ausgrenzen. Ein Beispiel für eine energetische Prämierung liefert Wilhelm von Humboldt (1767-1835), wenn er behauptet, die Sprache "selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Thätigkeit (Energeia). Ihre wahre Definition kann daher nur eine genetische sein." (Berlin 1836/1935, S. 41) Bewegung und Energie werden dem materiellen Zeichensystem, dem Werk, nicht nur übergeordnet, sondern entgegen gesetzt. Ein typischer Fall von Entweder-Oder-Denken.
Im Zentrum der strukturalistischen Sprachwissenschaft, etwa bei Ferdinand de Saussure, steht das
materielle, jederzeit beobachtbare Zeichensystem. Diejenigen Wissenschaftler, die die Sprachen als Medien des Denkens, auch als Speicher kultureller und sozialer Gemeinschaften behandeln, konzentrieren sich auf die informative Dimension.

Das Beschreiben als konstitutive Form des sprachlichen Handelns in der epistemischen Praxis

Die für die epistemische Praxis, die sich die Modellbildung zum Ziel nimmt, spezifische Form sprachlichen Handelns ist das → Beschreiben. Es erzeugt nicht nur Worte und Sätze sondern kombiniert Sätze zu Texten. Diese Texte haben eine Architektur, die sie von anderen → Textgattungen unterscheidet. Sie besitzen eigene Kodestrukturen. Das NTD nimmt drei Typen von Texten an, Beschreiben, Erzählen und Argumentieren.
Es gilt die Triade der Gattungen sprachlicher Darstellung in Texten: Beschreiben, Erzählen, Argumentieren.
Das NTD berücksichtigt, daß sprachliches Handeln, wenn es zu Texten ausgebaut wird, grundsätzlich das emergente Produkt aus Beschreiben, Argumentieren und Erzählen ist. Möglich sind nur radikale Prämierungen eines Typs dieser für das NTD konstitutiven Basistriade.

In allen Erzählungen findet man auch Beschreibungen und umgekehrt. Um Beschreibungen gegenüber Dritten zu plausibilisieren, wird (auch) argumentiert. Und manche Erzählungen dienen in der Kommunikation sowieso als Argument für die eine oder andere Überzeugung des Sprechers. Aber natürlich: Es ist für die meisten Fälle sinnvoll zu wissen, in welchem Programm/Film man sich befindet und um Gewichtungen kommt keine Praxis umhin.

Wird das sprachliche Handeln zu Textgattungen ausgebaut, gewinnt es in der Praxis häufig eine größere Bedeutung als die anderen Praktiken. Die Komplexität des Beschreibens oder Erzählens führt im Alltag dazu, daß das sprachlichen Handeln aus der Wechselwirkung mit dem Wahrnehmen und Denken herausgelöst wird.
Solche Vereinfachungen kommen im Alltag häufig vor. Wenn von 'Kaufen' oder 'Säen' die Rede ist, dann steht die Praktik Handeln im Vordergrund aber natürlich lassen sich die so bezeichneten Praxen nicht auf das Handeln reduzieren, Wahrnehmen und Denken läuft mit.
Das 'Beschreiben' tritt nur als Faktor einer Praxis auf.
Wenn es jedoch prämiert wird, nimmt man das Wort pars pro toto und spricht oft vom Interaktionssystem 'Beschreiben' oder von der sozialen Praxis 'Beschreiben'. Im triadischen Verständnis kann damit nur gemeint sein, daß sich eine Praxis herausbildet, die das Beschreiben gegenüber den anderen Praktiken bevorzugt - und es zu komplexen Programmen ausbaut.

Je nachdem, welcher Typ der Programme der symbolischen Informationsdarstellung gewählt wird, entstehen andere Arten von Praxissystemen. Besondere Bedeutung kommt in den wissenschaftlichen Forschungssysteme dem Beschreiben zu.
Theoretische epistemische Interaktionssysteme prämieren das Beschreiben.

Wechselwirkungen zwischen dem Beschreiben und dem Denken

Die Praktik des Beschreibens setzt die schon erwähnten spezifischen Formen des Wahrnehmens (→ Beobachten) und des Denkens voraus und erzwingt diese. Die Beschreibungspraxis erfordert eine besondere Form der Wahrnehmung. Sie führt zu einer Prämierung der Augen als Organ für die Datenerhebung. Andererseits wird das Denken durch das Beschreiben mitbestimmt, wenn es in einer epistemischen Praxis auftritt.
Das Denken wird durch die drei Arten des sprachlichen Handelns beeinflußt und modifiziert seine eigentümlichen Programme. Geht es um eine Praxis, die das Erzählen prämiert, arbeitet es mit anderen Programmen und wird nach anderen Erfolgskriterien bewertet, als wenn es in eine beschreibende Praxis eingebaut ist.
Beschreiben ist eine Unterart von sprachlichem Handeln, daß selbst schon eine Unterart von Handeln ist. Wie alles Handeln kommt es nur als ein Faktor der Praxis vor. Es läßt sich nur analytisch von Beobachten und Datengewinn sowie dem Systematisieren und anderen Formen des Denkens trennen.
Beschreiben ist typisch für die Gattung der epistemischen Praxis. In deren Arten kann es unterschiedliche Bedeutung haben und verschiedene Formen annehmen.
Eine Modellierung - und auch Gestaltung - des Beschreibens ist dem Triadiker ohne Rücksicht auf die Wahrnehmung und das Denken nicht möglich.

Triadisches Beschreiben als dreidimensionales Modellieren

Die Objekte der Erkenntnis sind mannigfaltige Diamanten. Da die Dimensionen und damit die Beschreibungsmöglichkeiten, theoretisch unendlich sind, reiht man häufig solche Beschreibungsperspektiven nebeneinander und vervollständigt so die Informationen über das Objekt. Diesen Weg eines pluralistischen Sowohl-Als-Auch kann das NTD nur für die begrenzte Zeit der Komplexitätssteigerung mitgehen. Er ist nicht ihr Ziel. N-dimensionale Beschreibungen haben den Nachteil einer großen Beliebigkeit und vor allem bleiben die Beziehungen zwischen den Dimensionen bzw. Parametern und den aus ihnen resultierenden Daten meist unklar.
Für das triadische Denken ist konstitutiv, nicht eine einzelne Dimension und nicht beliebig viele auszuwählen sondern in der Phase des Komplexitätserhalts jeweils drei.
Das NTD legt die Dimensionen bis auf wenige axiomatische Modelle nicht fest. Darauf richten sich auch nicht die Anstrengungen. Auch hier zeigt sich wieder der pragmatische Grundzug des NTD, der nicht einzelne Modelle heiligt sondern ein funktionsangemessenes triadisches Gestalten und Verstehen.

Was immer Objekte von Beschreibungen sein mögen, das NTD fordert dazu auf, sie triadisch zu beschreiben. Dazu gibt es viele Möglichkeiten, die aber alle darauf hinauslaufen sie als das emergente Produkt des Zusammenwirkens dreier Faktoren: Prozesse, Dimensionen, Elemente, Typen u.a. zu modellieren. Sie liefern Abbruchkriterien für die Tiefe der Beschreibung und die Gestaltung der Praxis.

Handelt es sich um materielle Gegenstände, die wir sehen können, ist eine dreidimensionale, perspektivische Darstellung eine der vielen Möglichkeiten. Sie verlangt korrespondierende Wahrnehmungen - was wieder auf die Interaktion der drei Praktiken verweist.

Die Verschränkung von sprachlichem Handeln, Denken und Wahrnehmen

Weil die Praktiken und deren Räume unterschiedlich sind, können sie untereinander in Beziehung treten. Das tun sie in jeder Praxis. Wie in allen anderen Interaktionen auch, gibt es ein Miteinander, eine Gegeneinander und eine Nebeneinander der Faktoren. Es gibt strukturelle Gemeinsamkeit, Spiegelungen zwischen Denk- und Handlungsräumen und auch Übergänge zwischen den Codesystemen, aber auch Unübersetzbares.

Das Verhältnis zwischen den Begriffen, die nur im Denkraum existieren, und den (Wort-) Zeichen im Handlungsraum ist ein Spezialfall des Verhältnisses von Denken zu den anderen Praktiken.

Es sind Beziehungen zwischen autonomen Typen von Dingen mit eigenen Strukturen, die sich nur teilweise decken - und deshalb immer Transformationen und Umkodieren erfordern.

In der epistemischen Praxis geht es primär um Erkenntnis und diese führt zu Informationen im Denkraum. Die Informationen sind beim menschlichen Individuum psychisch, neuronal und in anderen Medien gespeichert. Der Denkraum und seine Elemente haben ein eigenes materielles Emergenzniveau, welches sich von jenen der Wahrnehmungs- und Handlungsräume unterscheidet. Alle Praktiken haben artverschiedene Programme und die Räume andere Koordinaten, die eigenartige Kompositionen ermöglichen.

Begriffe und andere Modelle im Denkraum sind Typen von Informationen, deren materiellen Substrate hier außer Acht bleiben müssen. Was immer die neuronale Physiologie findet, gewiß keine Worte - in welcher phonetischen oder graphischen Gestalt auch immer.

Es ist möglich, die Informationen zwischen den Räumen der Praktiken auszutauschen, sie zu transformieren.
Die → Transformation der Modelle des Denkraumes in den Handlungsraum erfolgt als Umcodieren, als Materialisieren in einem anderen Speichermedium, welches mit andere Programmen arbeitet.

Nur, weil das sprachliche Handeln und das Zeichensystem autonom ist, kann es mit dem Denken in Interaktion treten.

Die Annahme, daß ein Text den Gedankengang wiedergibt, ist ein Wunsch, im günstigstenfall eine asymptotische Annäherung. Deshalb empfiehlt das NTD, die (semantischen, morphologischen u.a.) Eigenschaften von Worten als Elemente eines Zeichensystems im Wahrnehmungs- und Handlungsraum von den Begriffen des Denkraumes strikt zu unterscheiden.
Die Kodierung der Phänomene des Wahrnehmungsraumes im Zeichensystem

Sprachliches Handeln und die Zeichensysteme, denen es sich bedient, stehen nicht nur zum Denken sondern auch zur Praktik Wahrnehmen in einer Interaktionsbeziehung.
Worte bezeichnen entweder Phänomene im Wahrnehmungsraum oder Objekte im Denkraum oder beides in unterschiedlicher Gewichtung.

Auf dieser Vorstellung beruht u.a. die 'Sprachtheorie' Karl Bühlers. Sie unterscheidet zwischen einer Sprachverwendung im Zeigfeld und einer anderen im Symbolfeld. Das 'Zeigfeld' entspricht weitgehend dem Wahrnehmungs-, das 'Symbolfeld' - mit Abstrichen - dem Denkraum. Im Zeigfeld referieren die Zeichen und Worte auf zeig- und damit auch wahrnehmbare Phänomene, werden also deiktisch gebraucht. Hier gibt es nur Individuen, einzigartige Phänomene. Wenn die gezeigten und wahrgenommenen Dinge benannt werden, begeben wir uns in den Denkraum. Wir haben dann mehr oder weniger abstrakte Begriffe vor uns, d.h. die Daten der Phänomene und Worte und deren Beziehung werden zu Modellen verallgemeinert.
Die geringste Abstraktion liegt bei den ad hoc-Modellen vor, die im Minimalfall kaum mehr als Eigennamen sind. In jedem Fall werden Verknüpfungen zwischen den Elementen der beiden Räume erzeugt; das Wort verweist sowohl auf die wahrnehmbaren Phänomene als auch auf die gespeicherten Informationsbündel, meist Begriffe. Die Begriffe können, indem sie in Worten kodiert werden, wieder in den Handlungsraum transformiert werden.
Unterschiede zwischen dem triadischen Verständnis und Bühlers Sprachtheorie ergeben sich, weil er kein Handlungsfeld einführt und deshalb das Symbolfeld mit Gegenständen, Zeichen, beschweren muß, die dort nicht hingehören. Außerdem leitet schon das Wort 'Feld' zu flächigen 2D- Modellen hin (sic!), der 'Raum' erzwingt aber 3D-Modelle.

Die Verschränkung von individueller und sozialer beschreibender Praxis

Epistemische Praxis gibt es in allen drei Klassen der Praxis.
Alles Denken muß geäußert werden, wenn es in eine soziale Praxis eingeht. Dies gilt auch für das Triadische Denken. Die Hauptlast tragen die Standardsprachen, hier in der Schriftform. Die theoretischen epistemischen menschlichen, sozialen und kulturellen Systeme sind in ihrem symbolischen Handeln auf Standard- und Fachsprachen angewiesen. Diese Sprachen haben eine Klassen und Gattungen übergreifenden Charakter und vermitteln auch zwischen den Praktiken und deren Räume.

Immer ist zu unterscheiden, ob die beschreibende Praxis eines Individuums oder eines kommunikativen Systems gemeint ist. Der einzelne Mensch mag die Dinge für sich im Kopf/Denkraum konstruieren und sie dann - quasi als Gedächtnisstütze - auch niederschreiben. Hier ist wenig Ausführlichkeit notwendig, weil er selbst der Adressat der Beschreibung bleibt. Ganz anders sieht es aus, wenn die Beschreibung als Kommunikationsmedium in sozialen Gemeinschaften gedacht ist. Sowohl der Beschreiber als auch der Rezipient treten dann auch als Kommunikatoren auf. Erfolgreich wird die Kommunikation, wenn die Informationsgewinnung und -erarbeitung durch den Beschreiber von dem Adressaten wiederholt werden kann. Dies ist möglich, wenn er die Beschreibung als Programm für seine eigene Informationsverarbeitung nehmen kann.

Dazu ist es erforderlich, daß die → Standpunkte und Beziehungen (→ Perspektiven) zwischen dem Beschreiber und seinem Objekt von dem Kommunikationspartner gespiegelt werden. Es wird eine zweite Praxis eingerichtet, die ähnliche räumliche Verhältnisse erhalten wie die erste, die Beschreibungspraxis.
Der Kommunikationspartner wird in seiner Praxis die Standpunkte des Beschreibers einnehmen und die Abstände zu den Dingen - mindestens ideell - in seiner Praxis wiederholen, um die modellierten Objekt in der Realität wiederzuerkennen bzw. sie nachzuschaffen.
'Wenn ich an der Stelle des Beschreibers stünde, würde ich das Gleiche wahrnehmen wie er!'

Die soziale epistemische Praxis kommt, gehen wir von der menschlichen epistemischen Interaktionspraxis aus, ins Spiel, sobald die Ergebnisse der Reflexion anderen Kommunikatoren mitgeteilt werden. Das ist klarerweise der Fall, wenn die Erkenntnisse publiziert und gelesen werden. Aber das NTD kann auch soziale epistemische Systeme als Bezugssystem auswählen und diesem Vorrang vor dem individuellen menschlichen Denken gewähren. Dann steht die kollektive epistemische Informationsverarbeitung mit ihren sozialen Ablaufschemata im Vordergrund. Drittens ist es möglich, die ökologisch-kulturelle epistemische Praxis zum Ausgangspunkt zu nehmen. Dann wird die menschliche Erkenntnis zu den materiellen Medien, derer sich die Forscher bedienen und zu einem weiteren Faktor, z.B. der sich wandelnden Gesellschaft in Beziehung gesetzt.

D.h., auch die kulturelle Praxis und kulturelle epistemische Systeme kommen als Rahmen in Frage, was immer dann naheliegt, wenn die Technik oder Natur als Katalysator neuer Erkenntnis auftritt. Dies war unübersehbar der Fall, als der Gutenbergbuchdruck zu neuen Programme der Wahrnehmung, des Denkens und Beschreibens führte. (Vgl. Giesecke: 'Der Buchdruck in der Frühen Neuzeit' 1991) Und es ist auch gegenwärtig mit dem Einsatz elektronischer Medien der Fall. Hier wie dort ist die Wissensproduktion ohne Berücksichtigung des Faktors 'Technik' nicht erklärlich. Ähnlich ist die epistemische Praxis eines Entdeckungsreisenden wie Alexander von Humboldt ohne die Konfrontation mit den Pflanzen, Klimaten, Mineralien usf. in fremden Ländern unverständlich. Die Natur wird zum konstitutiven Faktor des kulturellen epistemischen Systems.

Bei allen sozialen epistemischen Praxissystemen ist es erste Wahl, sie als Kommunikationssysteme zu beschreiben und zu gestalten. Es stehen dann in allen drei Praktiken die durch soziale Normen geregelte Parallelverarbeitung von Informationen durch mehrere Kommunikatoren, deren Vernetzung und die Speichermedien im Vordergrund.

Für den triadischen Denker ist klar, daß alle drei Klassen epistemischer Praxissysteme immer zugleich existieren - und sie nur im Wege der Prämierung auseinanderzuhalten sind. Wir können über den einzelnen Denker nur schreiben, weil er sich uns mitteilt und er dabei kulturelle Medien benutzt.
Hier, wie so oft, müssen wir als Akteure und Beobachter framen: Wir können Handlungen wie das 'Beschreiben' als spezialisierte Praktik menschlicher Praxis oder als Praxis in sozialen und kulturellen Systemen einordnen.
Es gehört zu den besonderen Leistungen des NTD, das Denken als einen Spezialfall der Informationsverarbeitung zu begreifen und ihm soziale und kulturelle Transformationen von Informationen an die Seite zu stellen. So kann das NTD die epistemische Praxis sowohl als individuelle menschliche Praxis als auch als soziale und kulturelle Praxis begreifen.
Sowohl die Möglichkeit, die drei Klassen zu separieren und sie als autonome Einheiten zu gestalten als auch die Notwendigkeit, ihre Wechselwirkungen und Ergänzungsbeziehungen zu berücksichtigen, sind Bedingungen, um sie als Faktoren einer Triade im Sinne des NTD zu verstehen.

axiomatik_ntd, id1225, letzte Änderung: 2021-10-18 11:40:11

© 2023 Prof. Dr. phil. habil. Michael Giesecke