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Faktor → selbstreflexiver Praxis.
Jede Selbstreflexion braucht ein Objekt. Wird es ausgewählt, beginnt eine Praxis. Die Selbstreflexion nimmt demnach immer eine Komponente der eigenen Praxis zum Objekt. Dies setzt die Bildung eines Interaktionssystems voraus. Zwar können wir die eigene Praxis zum Objekt machen, aber dies nur, indem wir eine neue, andere, eine reflexive Praxis starten, die nach eigenen, anderen Programmen funktioniert.
Jede Selbstreflexion setzt im Verständnis des NTD eine neue und eigene epistemische oder epistemologische Praxis in Gang und macht damit die zu untersuchende Praxis zu einer Umwelt. Es kann dann eine Unterscheidung zwischen 'eigener' und 'anderer' Praxis bzw. aktiven Praxissystemen und Bezugssystemen getroffen werden.
Die Idee, daß ein menschliches, soziales oder kulturelles System sich selbst beobachten kann, ohne sich dabei von sich zu distanzieren und ein anderes zu werden, wird vom NTD nicht geteilt.
Streng genommen gibt es also keine Selbstreflexion, weil immer ein neues epistemische (Sub-)System ausgebildet werden muß, welches die Reflexion des Objekts vornimmt. Aber es ist sinnvoll und üblich geworden, anzunehmen, daß Menschen und manche andere Systeme von vornherein eine Komplexität besitzen, die auch auf einer Komposition von Subsystemen beruhen. Demnach können nur einfache Systeme keine Selbstreflexion ausführen, zusammengesetzte schon.
Das Problem der Selbstreflexion läßt sich für den Triadiker im Rahmen des systemtheoretischen Denkens nicht befriedigend lösen. Die Lösung läuft letztlich darauf hinaus, daß ein Gesamtsystem angenommen wird, welches dann ein Teilsystem ausdifferenziert, in dem und von dem aus die Beobachtung stattfindet. Aber auch das Teilsystem ist ein eigenes System.
Wie schwierig es häufig für das menschliche Individuum - von sozialen Systemen und Kulturen gar nicht zu reden - ist, dieses Teilsystem auszubilden und zur "Selbstbeobachtung" überzugehen, zeigt die Tatsache, daß hierzu oft tiefe psychische Krisen und die Intervention Dritter, bis hin zu professionellen Beratern und Therapeuten erforderlich ist.
Hinsichtlich der sozialen Systeme ist klar, daß für die Beschäftigung mit den eigenen Strukturen und Abläufen reflektierende Systeme extra, z.B. als Beratungs- oder Forschungssysteme, eingerichtet werden müssen. Wenn niemand von Außen hinzukommt, müssen ebenfalls spezielle Vorrichtungen getroffen werden, um die Subjekte und Objekte voneinander abzugrenzen. Meist erfolgt das Nachdenken in und über soziale Systeme sowieso nur von einzelnen beteiligten Personen, was ersichtlich ein anderes Subjekt als das Sozialsystem ist.
Beim Menschen laufen strukturell ähnlich Prozesse ab. Entweder er versucht eine Ich-Spaltung oder er tut sich mit anderen Menschen zusammen, um sich selbst als Persönlichkeit zum Gegenstand einer sozialen Praxis zu machen. In jedem Fall kann das Selbst nur immer hochselektiv zum Objekt epistemologischer Praxis werden, was jeder Selbsterkenntnis Grenzen setzt.
Goethe warnte deshalb zumindest mit bezug auf den Menschen vor zu hohen Erwartungen : "Ich behaupte, der Mensch kann sich nie selbst kennen lernen, sich nie rein als Object betrachten." Und er fährt im Gespräch mit Friedrich von Müller und Friedrich Wilhelm Riemer fort: "Andere kennen mich besser als ich mich selbst. Nur meine Bezüge zur Außenwelt kann ich kennen und richtig würdigen lernen, darauf sollte man sich beschränken. Mit allem Streben nach Selbstkenntniß, das die Priester, das die Moral uns predigen, kommen wir nicht weiter im Leben, gelangen weder zu Resultaten noch zu wahrer innerer Besserung. Doch will ich diese Ansicht nicht eben für ein Evangelium ausgeben." (Goethe-Gespr. Bd. 5, S. 47-48) In Dichtung und Wahrheit kommt er zu dem Schluß, daß Selbsterkenntnis 'beinah unmöglich' ist. ( Goethe-HA Bd. 10, S. 579)