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Die neuzeitliche Naturwissenschaft und die Industrie haben, ohne es zu wissen oder jedenfalls deutlich zu thematisieren, vom triadischen Verständnis der Praxis viel profitiert. Möglicherweise wäre die Modernisierung in Europa, ohne dieses Prinzip zu nutzen, gar nicht gestartet. Notwendig war sowohl die Trennung von Wahrnehmen, Denken und Handeln, deren Perfektionierung in splended isolation, als auch eine - zwar sehr partielle - kontrollierte Zusammenfügung dieser Faktoren. Solange die Praxis als diffuse Einheit, als symbiotische Verschmelzung von der Trias Wahrnehmung, Handeln, Denken verstanden und gestaltet wird, können wir grundlegende Formen der Arbeitsteilung in sozialen und kulturellen Gemeinschaften nicht durchziehen. Isoliert man eine der Praktiken andererseits zu gründlich, kann die große Maschinerie und die moderne Wissenschaft nicht starten, eben weil hier zirkuläre Abhängigkeiten herrschen.
Die Wissenschaften, die sich seit der Renaissance in Europa ausbildeten, brauchten eine Unterscheidung zwischen Wahrnehmen, meist als Beobachten, das Aggregieren von Daten zu Modellen und dem Experiment als einem spezifischen Handeln der Naturwissenschaftler.
Sie lernten es, scharf zwischen den Daten und der Empirie überhaupt, den Schlußfolgerungen und deren Gründen (Theorie) und den vielfältigen Formen der Nutzung von Daten und Modellen im Handeln zu trennen. Aber wie gesagt: Wissenschaft emergiert erst wenn diese Teildisziplinen zusammengefügt werden. Sowohl beim einzelnen Menschen als auch in der Gesellschaft bedarf es dazu geeigneter Programme und Institutionen. So tiefgründig die Gelehrten im Mittelalter diskutierten und niederschrieben, so sehr geringschätzten sie die kontrollierte Beobachtung und das Experiment. Zwischen den Praktiken klafften Abgründe und es kursierten allerlei Ideologien, um die sinnliche Wahrnehmung abzuwerten. Wie immer in komplexen menschlichen Kulturen gab es Ausnahmen, die Astrologie beispielsweise und manche Handwerker systematisierten ihre Erfahrungen. Aber daraus wurden keine Institutionen.
Die drei Praktiken liefern auch letztlich die Legitimation für die drei bestimmenden wissenschaftstheoretischen Schulen: die analytische Wissenschaftstheorie geht vom Denken in und mit Begriffen und Sätzen aus und fordert hier logische Beziehungen. Die wissenssoziologischen Ansätze fordern von den Wissenschaften die Erleichterung menschlicher Arbeit und kulturellen Handelns. Der Positivismus besteht auf der intersubjektiven Überprüfbarkeit der Aussagen durch die Wahrnehmung.
Die Kluft zwischen Theorie (Denken) und Empirie (Wahrnehmen und Experimentieren) haben Kultur- und Wissenschaftshistoriker vielfach beschrieben. Was weniger klar herausgearbeitet wurde, ist die triadische Interdependenz der drei Praktiken.
Erst in dem Augenblick, in dem auf das Zusammenwirken der drei Praktiken mehr Wert als auf die isolierte Perfektionierung gelegt wurde, der Beobachtung und dem Experiment ein ähnlicher Rang wie dem Denken zugestanden wurde, begann der Aufstieg der modernen Wissenschaften und damit auch Europas.
Und die Technisierung des Handwerks und anderer Stoffumwandlungsprozesse in den Fabriken bedurfte dieser Einstellung ebenso. Ingenieurpraxis mag das Handeln in Form von Ausprobieren und Testen von Ideen stärker als andere Disziplinen erfordern. Vieles kann der Techniker im Nachhinein modellieren, aber die Praxistriade bleibt das Gerüst. Die Praxisfelder und Disziplinen können deshalb auch gut unterschieden werden, indem man die jeweiligen Prämierungen offen legt. Warum sich die triadischen Zusammenhänge hinter dem Rücken der Beteiligten durchsetzten, bleibt eine offene Frage. Aber vielleicht findet man bei gezielter Suche auch deutlichere Thematisierungen. Bislang scheint mir, daß die Komplexität des Zusammenhangs der Praktiken durch den binären Schematismus Hand- versus Kopfarbeit reduziert wurde und wird. Man hat dann einen Antagonismus und kann mit den in der Neuzeit so beliebten Denkfiguren des Entweder-Oder und Sowohl-Als-Auch spielen. Das entspricht nicht dem Neuen Triadischen Denken. Es löst die fruchtlosen dialektischen Spielereien durch die Berücksichtigung des dritten Faktors, der Wahrnehmung. Und dieser ist artverschieden und läßt sich nicht als irgendeine Synthese oder Modifikation von Denken und Handeln verstehen. Definitionen, die das Denken als Handeln oder als Beobachten definieren, letzteres sehr beliebt im sogenannten Radikalen Konstruktivismus, reduzieren zu viel Komplexität und das an der falschen Stelle. Und erst dadurch entsteht ein völlig neues System.
Alle Bemühungen um transdisziplinäre Wissenschaft sind bislang gescheitert. Sie sind gescheitert, weil kein Erkenntnismodell und damit auch keinen Wissenschaftstheorie vorhanden war, die modellieren konnte, wie heterogene disziplinäre Programme und Ergebnisse zueinander in Beziehung zu setzen sind. Das Prinzip der Interaktion autonomer Faktoren, der trikausalen Erklärung der Objekte und der wechselnden Prämierungen eröffnet hier neue Wege.