Anwendung der Modelle




Die Anwendung triadischer Kulturmodelle

Triadische Kulturmodelle als Perspektive für die Kulturwissenschaften

Das Konzept der 'kulturellen Praxis' und der darauf gründenden ‘Kulturwissenschaft’ bietet die Chance, die im Zuge der Arbeitsteilung getrennten Natur-, Technik-, Sozial- und Geisteswissenschaften (Humanities) wieder miteinander in Kontakt zu bringen.
Dies geht aber nur, wenn → Kultur bzw. kulturelle Praxis sowohl als natürliches als auch als technisches und als soziales Phänomen begriffen wird.
Die kulturelle Praxis ist das Produkt der Interaktion dreier artverschiedener Faktoren. Diese Artverschiedenheit ist immer gegeben, wenn wir soziale, technische, natürliche oder menschliche Subfaktoren annehmen und aus ihnen auswählen. Welche Faktoren dies genau sind, legt das NTD nicht fest.
In diesem Falle haben die Sozial- und Geisteswissenschaften allerdings auch keinen gegenüber den Naturwissenschaften und den Technikwissenschaften bevorzugten Zugang zur Kultur. Die Kulturwissenschaften sind keine Abteilung der Sozial- und/oder Geisteswissenschaften. Oder anders: Kultur ist kein bloß soziales Phänomen. Insbesondere macht es keinen Sinn von ‘Kultur’ (bzw. von ‘Kulturwissenschaft’) zu reden, wenn man damit ‘soziale Systeme’ (bzw. ‘Sozialwissenschaft’) meint – oder keine klaren Unterschiede zwischen sozialen und kulturellen Phänomenen benennen kann. Es ist kaum nachvollziehbar, warum in der kulturwissenschaftlichen Diskussion, sei es nun zwischen Geisteswissenschaftlern, Praktikern, der Beraterszene oder auch in der Managementtheorie so wenig auf den Kulturbegriff der ökologischen Biologie zurückgegriffen wird. Seit E. Haeckel werden dort Kulturen als Ökosysteme und jene als emergentes Produkt der Wechselwirkung artverschiedener Faktoren verstanden. (→ Ökologie!)

Heterogenität als Kennzeichen kultureller Praxis

Will man unter Kultur i. d. S. ein integratives, mehrdimensionales, multifaktorielles Phänomen verstehen – und nur dann scheinen kulturwissenschaftliche Anstrengungen sinnvoll –, wird man Abschied nehmen müssen von dem Ideal eines homogenen Gegenstandes. Eine Spezifik der Kultur liegt darin, daß sie inhomogen ist. Und zwar in dem Sinne, daß sie aus artverschiedenen Faktoren aufgebaut ist. Ökologie und Kulturwissenschaft untersuchen u.a. die Beziehungen zwischen der Technik, der belebten und unbelebten Natur, den sozialen und psychischen Faktoren. Die Komplexität unserer Kultur besteht nicht nur in einer Vielfalt in quantitativer Hinsicht (mehr vom Selben), sondern auch in ontologisch-qualitativer Hinsicht: Biogene, psychische, soziale, physikalische u. a. Medien und Systemtypen wirken zusammen.
→ kulturelle Praxis

Die Artverschiedenheit hat das NTD aufgrund ontologischer Kriterien bestimmt. Ontologische Kulturtriaden werden auch von Anthropologen und Ethnologen genutzt.


Elke Mader diskutiert bspw. verschiedene Kulturbegriffe der Ethnologie ausführlich, um ein Konzept zu finden, welches ihr ein einigermaßen emisches Verständnis zweier Indianerkulturen im brasilianischen Amazonasgebiet ermöglichen soll. (Elke Mader: Die Macht des Jaguars. In: Andre Gingrich/Elke Mader (Hg): Metamorphosen der Natur. Sozialanthropologische Untersuchungen von Weltbild und natürlicher Umwelt. Wien/Köln/Weimar 2002, S. 183-222.)
Sie schlägt aufgrund eigener empirischen Untersuchungen und der Literatursichtung letztlich vor, die dortigen Eingeborenenkulturen als emergentes Produkt dreier Faktoren aufzufassen. „Die Weltbilder der amazonischen Völker haben viele Gemeinsamkeiten: Sie konzipieren die kosmische Ordnung meist als Beziehungsgefüge, das von einer ontologischen Triade bestimmt wird, die Natur, Gesellschaft und Übernatürliches umfaßt.“ (Ebd., S. 185 unter Verweis auf Eduardo Viveiros de Castro: From the Enemy’s Point of View: Humanity and Divinity in an Amazonien Society. Chicago 1992, S. 29 und weitere Untersuchungen von Reichel-Dolmatoff und Anthony Seeger, Tania Stolze Lima (dort: Menschen, Tiere, Totengeister).)
Nur wenn aller drei Faktoren in Betracht genommen werden, läßt sich ihr Untersuchungsobjekt als System stabilisieren und von anderen - auch europäischen Kulturen - abgrenzen. Dabei fällt die Unterscheidung der drei Seinsweisen oder/und Perspektiven schwer. Phänomene wie der ‚Wald’ sind zugleich Natur, sozialer Raum und übernatürliche, von Geistern bestimmte Macht:„Die Beziehungen zwischen Mensch, Natur und Übernatürlichem bilden ein Wirkungsgefüge, in welchem die einzelnen Bereiche nicht scharf voneinander abgegrenzt, sondern miteinander verzahnt sind. Die verschiedenen Wesen sind dabei als Mischwesen zu verstehen, als Personen, in denen Komponenten aus den drei Bereichen miteinander auf verschiedene Weisen verbunden sind. Die einzelne Komponenten wirken aufeinander ein, diese Wirkungsweisen bilden die Basis für Veränderungen und Transformationen“.( S. 218) Sie führt dann auch aus, daß das triadische Konzept nicht nur auf die Kulturgemeinschaft sondern auch auf den einzelnen Menschen angewendet wird. Die ‘indigene Theorie der Person’ und die Kulturtheorie sind homomorph, eben deshalb gibt es passende - und nicht bloß irritierende - Spiegelungen zwischen beiden. (Vgl. a. S. 188 f.)
Kulturelle Prozesse und auch der Wandel der als ‚Mischwesen’ verstandenen Persönlichkeiten, wie er in den Ritualen festgestellt wird, erscheint insofern als eine Verschiebung der Gewichte zwischen den drei Faktoren der Kulturtriade. Die Eingeborenen stehen wir die Ethnologen vor der Aufgabe, Prämierungen [sic!] zu ermitteln. Auch das Handeln der Menschen: Fischen, Pflanzen, Jagen „muß jenem Wirkungsgefüge Rechnung tragen, das Natur, Mensch und Übernatürliches miteinander verbindet“. (S. 188) Es gibt insoweit keine lineare, monokausale Interaktion mit einem Objekt wie den Fischen der Maniokpflanze oder dem Faultier, immer muß auch die spirituelle Seite mitlaufen, die Geister angerufen und mit dem Geisttier, bzw. der Geistpflanze kommuniziert werden. (Prinzip der Parallelprozesse) Aber andererseits muß klar sein, ob eine beliebige Interaktion in erster Linie der Nahrungsbeschaffung, der Geisterbeschwörung oder sozialen Vernetzungen dienen soll.

Neben den ontologischen Kriterien lassen sich auch andere finden, um die Heterogenität von Kulturen zu beschreiben. So unterscheidet das NTD obligatorisch drei Emergenzformen der → Dinge: Information, Materie und Energie. Auch mit dieser Triade läßt sich kulturelle Praxis ordnen.
Wie auch immer, die triadischen Kulturmodelle grenzen sich von allen monofaktoriellen und binären ab. Sie stehen in scharfem Gegensatz zu der traditionellen binären Unterscheidung zwischen Natur und Kultur, welche die Untersuchungen von Claude Levi-Strauss leiten und die im europäischen Denken überhaupt breite Anwendung finden. (Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, Ffm. 1981, S. 45.)
Ein Grund für die Schwierigkeit, triadische Kulturkonzepte - und damit auch z.B. die Amazonaskulturen - zu verstehen, dürfte in dem Streben nach Kohärenz und homogenen Modellen liegen, welches für die neuzeitlichen Wissenschaften so typisch ist. Im Alltag haben wir es demungeachtet nur allzuoft mit heterogene Kulturen zu tun, die sich auch nur unzureichend dichotomisch verstehen lassen.
Im Unterschied zur biologischen Ökologie, die mit beliebig vielen Faktoren und Subsystemen arbeitet, reduziert das triadische kulturökologische Denken die Faktoren (Arten), die auf der Ebene der → Trias zu berücksichtigen sind, axiomatisch auf genau drei. Natürlich ist dies eine Vereinfachung. Aber sie geschieht bewußt und nachvollziehbar in der Absicht, die Modelle überschaubar zu halten. Unsere Fähigkeiten multifaktoriell und parallel zu denken, ist begrenzt. Dies zeigt sich nicht zuletzt, wenn wir versuchen die Heterogenität von ‘Kulturen’ im Denken und Handeln zu berücksichtigen.

Methodenpluralismus

Es gibt, abgesehen von einer Tradition, die sich wissenschaftshistorisch hergestellt hat, keinen Grund, ökologische Netzwerke ausschließlich mit den Kategorien und Methoden der Naturwissenschaften zu untersuchen. Sobald Gemeinschaften von Lebewesen auftauchen, wird man sozialwissenschaftliche Verfahren hinzuziehen, sobald Menschen zu Elementen dieser Ökosysteme werden, sind auch geisteswissenschaftliche Methoden und psychologische Modelle hilfreich. Andererseits besitzen die ‘kulturwissenschaftlich’ arbeitenden Sozial- und Geisteswissenschaften natürlich auch kein Privileg für die Beschreibung jeglichen Typs von Kulturen. Sie werden desto stärker beteiligt, je mehr der Mensch, bzw. Gruppen von Menschen, im Zentrum der Systembildung stehen. Die Technikwissenschaften werden entsprechend dann im besonderen Maße beteiligt, wenn technische Faktoren oder Medien als Katalysatoren der Praxis bzw. der Ökosystembildung auftreten. Die triadische und ökologische Kulturkonzeption versteht sich deshalb als Alternative, sowohl zu soziologiesierenden, als auch zu psychologisierenden, technokratischen oder physikalisch reduktionistischen Konzepten. Wenn wir Kultur als Ensemble artverschiedener Faktoren auffassen, dann bedeutet jede strikt einzelwissenschaftliche Modellierung einen Reduktionismus, der gerade das spezifische Emergenzniveau von Kulturen nicht erreicht.

Heterogenität und ontologischer Reduktionismus

Es macht Sinn, auf diese Spielarten des Reduktionismus näher einzugehen, weil so - kontrastierend - noch einmal eine wichtige Besonderheit triadischen Denkens beleuchtet werden kann. Das Bestreben, homogene Faktoren zu erzeugen, ist das Gegenteil von kulturökologischem triadischem Denken. Im Kern wird versucht, die Mannigfaltigkeit der Ebenen, auf denen Informationen emergieren können, radikal zu reduzieren. Es bleibt, wie die Kultur- und Wissenschaftsgeschichte zeigt, nicht dabei, daß einzelne Medien- oder Informationsarten prämiert werden. Dies ist der erste, vermutlich unvermeidliche Schritt bei der Beschreibung komplexer multimedialer Praxissysteme. Die Prämierung geht vielmehr mit dem Versuch einher, Informationen, die auf anderen Emergenzniveaus kursieren, auf das eine prämierte ‘zurückzuführen’.


Das wird näher beschrieben in Von den Mythen der Buchkultur zu den Visionen der Informationsgesellschaft, Ffm. 2002.

Die Vielzahl der Emergenzformen soll verringert werden. Beispiele solchen Reduktionismus sind:

  • die Auffassung vom Menschen als einer physikalischen Maschine, was die Reduktion von psychischen u. a. Informationen und Strukturen auf das physikalische Emergenzniveau bedeutet;
  • die Reduktion von Kultur auf Werte (nur geistig) und damit die Außerachtlassung materieller Faktoren wie Klima, Bodenschätze, Technik usf.

Man könnte als Axiom, welches die Eigenart kulturwissenschaftlicher Methodik zusammenfaßt, formulieren: Als kulturwissenschaftlich soll ein solches Herangehen bezeichnet werden, welches die Komplexität des Gegenstandes nicht soweit reduziert, daß ein homogenes Objekt entsteht. Dies erfordert zum einen eine mehrdimensionale inhomogene Gegenstandskonzeption und zum anderen Methodenpluralismus.

Und zwar müssen sich die Methoden so weit unterscheiden, daß
a) sie sich nicht aufeinander reduzieren lassen und
b) daß sie zueinander in Widerspruch treten können, Ergebnisse produzieren, die sich ausschließen.

Diese Definition geht über jene hinaus, die die kulturwissenschaftliche Methodik als trans- oder interdisziplinär beschreibt. Triadische Kulturwissenschaft unterliegt der präziseren Auflage, seine Objekte jeweils als das emergente Produkt von drei heterogenen Faktoren zu verstehen. Dem Inhomogenitätsgebot in der Objektdimension entspricht die Forderung nach inhomogenen Standpunkten und Perspektiven beim Konstrukteur und Anwender der Kulturtriaden. Zu berücksichtigen ist: Es gibt keinen → Standpunkt außerhalb jeder Kultur. Jeder Beobachter/Beschreiber ist also entweder Teil der analysierten Kultur oder von Kulturen in deren Umwelt. Es gilt, immer mehrere Standpunkte einzunehmen und zwischen ihnen deutlich markiert zu wechseln.

Die Identifikation von Katalysatoren

Auch jede triadische Beschreibung von Kulturen ist selektiv, wertend und je genauer sie verfährt, desto stärker zerreißt sie Zusammenhänge, bildet geschlossene Architekturen. Insbesondere kommt keine Kulturbeschreibung umhin, bestimmte Faktoren und Faktorenbündel zum Ausgangspunkt der Betrachtung bzw. als Katalysator der Systembildung zu nehmen. Diese Faktoren werden dann meist zur genaueren Spezifizierung/Benennung der Kulturen genutzt:

  • Mensch – menschliche Kultur
  • Buch – Buchkultur
  • Erdbeeren – Erdbeerkultur
  • Wasser – Hydrokultur.

Eine allgemeine Kulturtriade, die über eine solche Identifikation eines Katalysators erhaben ist, scheint es nicht zu geben. Deshalb macht es im Kontext des hier beschriebenen Denkens keinen Sinn, bei der unspezifizierten Rede von ‚Kultur’ stehen zu bleiben. Immer steht bei deren Verwendung irgendeine, allerdings häufig diffuse Vorstellung darüber im Hintergrund, was diese Kultur eigentlich hervorbringt oder hervorbringen sollte. Das macht das Gespräch zwischen ‚Kulturwissenschaftler’ übrigens oft so unergiebig. Für den einen ist Kultur ‚menschliche Kultur’, für den anderen ‚Filmkultur’, für den dritten ‚Geisteskultur’ usf. Eine zumindest vorläufige Klärung, über welche Kultur man nachdenken bzw. reden möchte empfiehlt sich, sobald man den Raum allgemeiner Theorie verläßt.

Kulturen als Objekte von Beratungspraxis

Einschlägige Erfahrungen mit den Tücken inhomogener Objekte haben gerade die Berater. Sie sind sowohl mit Menschen als psychischen und leiblichen Wesen als auch mit sozialen Systemen unterschiedlichster Art, mit Technik und mit allerhand weiteren materiellen Medien befaßt. Bislang hat die Sehnsucht nach einem homogenen, disziplinären Modell die Definitionen von Beratungssystemen dominiert. Ambivalenzen und Widersprüche werden nicht als solche modelliert, sondern durch Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Beratungskonzepten ‘aufgelöst’. Psychoanalyse stellt die Psyche der Person in den Mittelpunkt, die Gruppendynamik die soziale Gruppe, die OE die soziale Organisationen usf.

Das Verstehen von Organisationen als kulturelle Praxis in der Beratung

Das triadische Kulturmodell läßt sich nicht nur auf große Sozialsysteme, wie die modernen Gesellschaften, sondern auch auf Organisationen und Wirtschaftsunternehmen anwenden. Auch hier geht es darum, mit Modellen zu arbeiten, die es erlauben, mehr Komplexität zu erhalten, die Phänomene aus mehreren Perspektiven zu erfahren. Triadiker schlagen in diesem Sinne vor, Organisationen (auch) als Kulturen aufzufassen, die das emergente Produkt gerade des Zusammenwirkens von artverschiedenen Faktoren bspw. Subsystemen sind. Und zwar soll, der Grundidee des triadischen Denkens folgend, jeweils von drei Faktoren ausgegangen werden. Nach unserer Erfahrung können das z. B. bei Produktionsbetrieben Technik, Ökonomie und soziale Beziehungen sein. Die Organisationskultur dieser Betriebe wird entsprechend durch die Wechselwirkung zwischen technischen, ökonomischen und sozialen Subsystemen bzw. Professionen gebildet. Andere Beispiele für inhomogene triadische Organisationskulturen sind:

  • Universität: Forschung, Lehre, Verwaltung
  • Fachhochschule: Praxis, Lehre, Verwaltung
  • Soziale (Dienstleistungs-) Organisationen: Experten, Verwaltung, Klienten
  • kleiner Gartenbaubetrieb: Produktion, Vertrieb, natürliche Ressourcen.

Es macht erst Sinn bei Unternehmen/Gruppen/Organisationen von Kulturen zu reden, wenn diese sich selbst als zusammengesetzt aus Teilsystemen – und zwar mindestens drei – definieren und sich entsprechend steuern. (Adäquanzprinzip) Die Ermittlung dieser wichtigsten Subsysteme ist immer eine Aufgabe für die Berater.

Identitätssicherung durch triadische Kulturkonzepte

Hinter der Beschreibung von Unternehmen als Kulturen steht u. a. die Hoffnung, die Identität durch einen kontinuierlichen Dialog zwischen den verschiedenen Subsystemen, z. B.: Produktion, Verwaltung, Marketing/Vertrieb, Forschung zu sichern. Und dieser Dialog sollte geführt werden, weil es Widersprüche zwischen den Subsystemen gibt, die weder grundsätzlich überwunden werden können noch sollen. Die Arbeitsteilung, die die Organisation für ihre Aufgabenerfüllung fit macht, verlangt im Idealfall genau die Ausdifferenzierung der vorhandenen Subsysteme, verlangt Heterogenität. Das Dialogkonzept und das ökologische Kulturmodell lassen sich bestens zu diesem Zwecke fruchtbar machen.
Während sozialwissenschaftliche Ansätze dazu tendieren, materielle Sachzwänge zu unterschätzen, Ingenieure demgegenüber psychodynamische und soziale Strukturen als zweitrangig einschätzen, erlaubt das triadische Modell von vornherein eine gleichgewichtige Berücksichtigung der verschiedenen Teilsysteme/Faktoren. Ungleichgewichte sind das Ergebnis von Prämierungen in den Organisationen und können und sollen in jedem empirischen Fall ermittelt werden.
Im Alltag der Organisationskulturen wird deren Komplexität entsprechend der Programme, Selbstkonzepte, Werte etc. der jeweiligen Profession reduziert, in der die Berater/Manager ausgebildet sind, oder/und in der sie selbst gegebenenfalls in der Organisation tätig sind. So fassen Berater mit sozialwissenschaftlichem Hintergrund ‘Organisationen’ üblicherweise als soziale Systeme auf und rekurrieren dabei selbstverständlich auf soziologische Theorien. Ein Ökonom in der Controllingabteilung eines Betriebes wird die ‘Organisation’ als Wirtschaftssystem zur Profitmaximierung begreifen. Die wesentlichen Elemente sind für ihn Zahlen, Kosten und Erträge und weniger soziale Beziehungen und Normen. Für die Ingenieure eines Produktionsbetriebes andererseits muß die Technik funktionieren, die Abläufe in der Organisation erscheinen ihm als technische Prozesse. Wertschöpfung setzt nach ihrem Verständnis perfekte Technik voraus. Alle diese Subperspektiven haben ihre Berechtigung, aber sie klären nur die Logik der Subsysteme und verfehlen damit das Emergenzniveau der Kultur. Berater und diejenigen Managementebenen, die tatsächlich steuernden Einfluß nehmen können und wollen, sollten sich nicht von vornherein auf den Standpunkt einer Profession bzw. eines Subsystems der Organisation festlegen und von hier aus – pars pro toto – die Prozesse, Strukturen und Umwelten bewerten. Sie vereinfachen damit die Komplexität und Identität der Organisation so stark, daß sich andere Professionen bzw. Abteilungen in ihren Beschreibungen nicht mehr wiederfinden. Das ist eine beständige Quelle von Konflikten. Sie wird durch eine mangelnde Beachtung der Standpunktetriade gespeist.
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Die allgemeine Aufgabe für Management und Betriebe ist es demgegenüber, funktionale Ungleichgewichte herzustellen, einseitige Prämierung einzelner Subsysteme auf ihre aktuelle Funktion, ihre Gefahren und ihren Nutzen hin zu überprüfen. Jedenfalls reicht es nicht aus, die Sichtweise eines Subsystems bzw. einer Profession einzunehmen. Die damit einhergehende Homogenisierung der Komplexität heterogener Organisationen ist eine Ursache vielfältiger Konflikte und führt jedenfalls dazu, daß die vorhandenen Ressourcen nur ungleichmäßig und nicht in dem möglichen Umfang ausgenutzt werden.
Es wäre auch ein Trugschluß, wenn man bei Kulturbeschreibungen nach Metastandpunkten jenseits aller kulturellen Subsysteme suchte. Dies geschieht ja mit der Absicht, eine für alle Subsysteme gleichermaßen gültige einheitliche Perspektive zu finden. Von dort aus betriebe man dann wieder die gleiche Homogenisierung wie vom Standpunkt eines der schon identifizierten Subsysteme. Ebenso gefährlich ist eine generelle Festlegung von Rangordnungen zwischen den Subsystemen. Jede einzelne Organisation legt solche Hierarchien selbst fest und ändert sie auch immer wieder. Diese Festlegungen sollten von Beratern und der Unternehmensführung aufmerksam beobachtet und als Daten in Rechnung gestellt werden. Ob sie übernommen und dann gegebenenfalls durch Interventionen bestärkt oder kritisiert werden, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Arbeitsschritte beim triadischen Verstehen von Organisationen als Kulturen

1. Bestimmung des Katalysator der Organisationskultur

Ausgangspunkt ist immer die Selbstbeschreibung der Kultur, die häufig schon im Namen oder durch die Einordnung in Branchen deutlich wird. Was ist die von der Organisation und ihrer relevanten Umwelt angenommene Hauptaufgabe? Produktion, Gesundheit, Dienstleistung, Ausbildung, ..? Solche Festlegungen können zunächst vage bleiben, dienen aber der Klärung von Vorannahmen, was besonders bei kollektiven Arbeitszusammenhängen wichtig ist.

2. Identifikation der kulturbildenden Katalysatoren

Welches sind die drei hauptsächlichen Faktoren in der Organisation, die die Kultur prägen?
Kriterium: Man kann einen dieser Faktoren nicht beseitigen, ohne daß die anderen an Kraft verlieren und die Identität der Organisation gestört wird!

3. Ermittlung der kooperativen und konkurrierenden Beziehungen zwischen den Faktoren

Welche Widersprüchen/Spannungsfeldern/ Loyalitätskonflikten werden durch die Heterogenität der kulturellen Faktoren ausgelöst? Wie zeigen sie sich bei den Menschen in der Organisation?

4.Prämierungsanalyse

Mit welchem Faktoren sind die wichtigsten Repräsentanten der Organisation identifiziert? Um welche Werte, Ressourcen wird im Organisationsalltag am meisten gestritten? Welche Werte prämiert die Führung? Hat es Veränderungen der Prämierungen in letzter Zeit gegeben? Welche Veränderungen der Prämierungen zeichnen sich ab?

anwendung_ntd, id1521, letzte Änderung: 2022-03-01 10:25:11

© 2024 Prof. Dr. phil. habil. Michael Giesecke